Anhand des gestern von der Republik publizierten Szenarienrechners zeige ich in diesem Artikel, was der Zusatznutzen von systemdynamischen Modellen und Simulation ist: Rückkopplungen und komplexe, Domänen-übergreifende Dynamiken.

Die Zukunft der «Republik»

Als einer der über 20’000 Verlegerinnen und Verleger der Republik fiebere ich selbstverständlich mit, wenn es darum geht, wie die Zukunft für sie aussieht.

Gestern haben unsere Angestellten nicht nur einen Einblick in ihre Abschätzungen und Pläne für unser Produkt gegeben, sondern sie haben dies sogar mit einem interaktiven Planspiel getan. Auf dieser Seite können diverse Parameter hin- und hergeschoben werden, und die Graphen der zugehörigen KPIs (Key Performance Indicators oder Kennzahlen) Liquidität und Anzahl Mitgliedschaften (Verlegerinnen und Verleger) werden sofort, in Echtzeit, angepasst.

Sehr schön!

Dynamische Modellierung

Am Institut für Modellbildung und Simulation der Fachhochschule St. Gallen arbeiten wir ständig an solchen Visualisierungen und Tools.

Mein persönlicher Enthusiasmus gilt dabei den sogenannten systemdynamischen Modellen, weil diese nicht nur lineare Abhängigkeiten (wie im Planspiel auf der Seite der Republik), sondern auch komplexe Zusammenhänge und Rückkopplungen aufzeigen.

Sie ermöglichen oft auch schon in einfachen Varianten, einfach umsetzbare Massnahmen sichtbar zu machen.

Lineare Wunder

Die grafische und technische Implementierung der interaktiven Simulation finde ich wie immer bei der Republik wunderschön gemacht. Sehr schlicht, übersichtlich, und robust.

Wenn wir das Modell auf der Republik Seite betrachten, ist dieses sehr einfach gestrickt. Die Parameter haben einen direkten, linearen, unmittelbar durchschaubaren Einfluss auf die Verläufe der KPIs.

Es ist auch relativ schwierig, von den eingestellten Parametern auf umsetzbare Massnahmen zu schliessen. Was heisst es, wenn ich bei «Budget» auf 14% einstelle? Oder wenn die «Erneuerung Neuverleger» auf 78% einstelle? Was soll das bedeuten?

Kausale Zusammenhänge und Rückkopplungen

Aus Freude an dem Steilpass habe ich also heute kurz ein sehr einfaches, durchaus anfechtbares Modell zusammengeschustert, das den einen oder anderen Aspekt von systemdynamischer Modellierung aufzeigt.

Das Resultat liegt nun als Modell vor, das auch Du als Vorlage verwenden kannst für weitere Überlegungen und Szenarien. Leider kann ich das interaktive Modell nicht direkt in diese Webseite integrieren. Aber die Modelldatei findest Du im folgenden Abschnitt auf dieser Seite verlinkt, und die kostenlose Software für das Betrachten und Weiterbauen findest Du bei Vensim (die kostenlose «PLE» Version reicht, um das Modell frei weiterzuentwickeln).

Der Aufbau des Modells

Für dieses ganz einfache Modell starten wir mit den beiden Kennzahlen oder Bestandsgrössen, die auch bei der Republik im Zentrum stehen: die Verlegerinnen und Verleger (die «Verlegenden»), und die Liquidität (die «Kasse»). Diese haben beide einen jährlichen Zufluss und Abfluss:

Diese beiden Bestände sind dynamisch über den Umstand verbunden, dass der Umsatz im Wesentlichen aus den Jahresbeiträgen der Verlegenden besteht:

In dieser Vereinfachung gehen wir auch vorerst davon aus, dass die Kosten proportional mit der Anzahl Mitarbeitenden zusammenhängt:

Für die Verlegenden gehen wir von einer gewissen natürlichen, konstanten Fluktuation aus:

Für den Verlegendenzuwachs gehen wir davon aus, dass er einerseits aus einer (im Falle der Republik wohl kaum zu vernachlässigenden) Mund-zu-Mund-Propaganda und andererseits aus zusätzlichen Quellen (PR- und Marketingaktionen usw.) besteht:

Ich habe versucht, die Werte auf der Simulationsebene in etwa so einzustellen, dass sie den Angaben auf der Seite der Republik entsprechen.

Resultate und Szenarien

Zu Beginn stelle ich alles sehr konservativ ein. Ich gehe davon aus, dass pro Jahr nur jedes zehnte Mitglied ein neues gewinnt («Neue Verlegende pro Verlegende pro Jahr» ist dann 0.1). Ich nehme die angegebenen Gesamtkosten 6.9 Mio CHF, und gehe von 50 Mitarbeitenden aus. Bei der Fluktuation gehe ich von einem Mitgliederschwund von 10% pro Jahr aus. Wenn ich das Modell nun einfach so laufen lasse, sehe ich tatsächlich (wie im Artikel auch erwähnt), dass es nicht gut kommt:

Die Mitglieder nehmen zwar zu, aber das Geld wird hoffnungslos verbrannt. Das Projekt ist eigentlich so gut wie pleite – schon jetzt.

Genau so, wie man auf der Seite der Republik an den Parametern rumschieben kann, so kann man dies auch in der Modellierungssoftware. Wenn Du Vensim installiert hast und das Modell anschaust, kannst Du über den «SyntheSim Modus» in den Echtzeit-Simulator wechseln.

Dann lässt sich genauso wie bei der Republik Variante studieren, was unternommen werden kann.

Da ist zum Beispiel schnell sichtbar, dass eine Reduktion der Fluktuation (sogar bis auf Null) keinen signifikanten Effekt hat. Auch ein massives Hochschrauben der «Zusätzlichen Neuen Verlegenden» hat keinen rettenden Einfluss.

Das einzige, was wirklich einschenkt, ist eine Reduktion der Kosten, und eine aggressive Förderung der Mund-zu-Mund-Propaganda. Wenn wir z.B. die Mitarbeitenden um 20% reduzieren und die Verlegenden dazu kriegen, durchschnittlich 2 neue Mitglieder pro Jahr zu gewinnen, dann schaffen wir es, ohne weitere Finanzmittel liquide zu bleiben:

Wir sehen hier auch gleich, dass wir diese aggressive Mund-zu-Mund-Propaganda sogar gar nicht so lange benötigen. Wir können auch sagen, dass wir die 2 neuen Verlegenden pro Verleger nur die ersten zwei Jahre benötigen, und danach wieder auf das eine neue Mitglied pro 10 Verlegerinnen und Verleger pro Jahr zurückfahren können:

… Und dann haben wir übrigens auch längstens genügend Geld, um wieder Mitarbeitende aufzustocken.

Mein Fazit: Vorübergehend abbauen, Mund-zu-Mund-Propaganda aktivieren

Schliesslich will ich hier meine Meinung aufgrund von bisherigen Gedanken zum Vorgehen der Redaktion und diesem super simplen Modell so zusammenfassen:

  • Personal (vorübergehend) abbauen: Ich hatte zu Beginn der Republik (als Magazin, d.h. ab Anfang 2018) gestaunt, wie rasch das Personal aufgestockt wurde. Das geschah aus meiner (fernen) Warte ohne Not und in übertriebenem Masse. Ich bin immer Verfechter von Qualität über Quantität. Ich bin auch sehr vielbeschäftigt und kann ohnehin nicht alle die tollen Artikel lesen. D.h. von mir aus hätten auch viel weniger Journalisten da arbeiten können.
  • Eine aggressive Mund-zu-Mund-Propaganda-Kampagne lancieren: Die Republik hat schon seit der rekordmässigen Crowdfunding-Kampagne sensationell mit PR gewerkt. Es müsste auf jeden Fall möglich sein, dies auch für eine Aktivierung von Mund-zu-Mund-Propaganda zu tun.

Methodischer Ausblick

Dies ist ein schneller Wurf. Das Modell ist in wenigen Minuten zusammengeklickt worden.

Es ist ein dürftig informierter Wurf. Das Modell basiert auf dünner Information. Ich habe weder die ganze Website der Republik, noch irgendwelche Mails mit Statistiken oder Hinweisen durchsucht.

Der allergrösste Nutzen-Sprung würde passieren, wenn weitere Stakeholder (noch andere als ich…) beigezogen würden. Erst dann können wirklich spannende und für diese Situation spezifisch relevante Dynamiken ausgehoben und eingebaut werden.

Spontan würde ich abschätzen, dass alleine die kausalen Rückkopplungen zwischen den modellierten Grössen spannende Erkenntnisse mit sich bringen könnten:

  • Wie würden Veränderungen in den Mitgliedschaftbeiträgen (Jahresumsatz pro Verlegende) die anderen Parameter beeinflussen? Wie weit ginge die Fluktuation hoch resp. runter?
  • Über welche kausalen Wege würde die Anzahl Mitarbeiter (plus Differenzierung) die Mund-zu-Mund-Propaganda beeinflussen? Wie die Fluktuation?

Des Weiteren liessen sich ganz andere Dynamiken wie spezielle PR-Aktionen und andere Einflüsse für die «Zusätzlichen neuen Verlegenden» modellieren.

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6 Kommentare

  1. Sehr interessant. Danke fuer die detaillierten Erklaerungen. (Ich habe nur gestaunt bei der letzten Illustration, die mit dem Knick in den Neuverlegern: ich haette auch einen Knick in der Liquiditaet erwartet. Kommt der Effekt erst spaeter?)

    1. Danke für die Rückmeldung, Gabriel!

      Um die Grafik lesbar zu machen, ist die vertikale Achse für die «Liquidität» abgeschnitten. Wird dies nicht gemacht, ist der Knick deutlich zu sehen. Es wird viel Gewinn gemacht – d.h. es geht zu diesem Zeitpunkt schon richtig steil bergauf.

      Als Mathematiker hilft Dir vielleicht noch der Hinweis, dass die «Kasse» in etwa ein Integral von den «Verlegenden» ist – d.h. der deutliche Knick ist in der Ableitung…

  2. Einfach, nachvollziehbar, anschaulich und ungeschminkt.
    Ich hoffe, diese Analyse ermutigt die Redaktion zur vorübergehenden entschiedenen Senkung der Kosten da, wo’s leider richtig weh tut.
    Bin auch der Meinung, dass weniger tolle Artikel durchaus mehr attraktive Wirkung machen können.

    1. Danke Susanne für Deinen Kommentar.
      «Wos leider richtig weh tut»: Das sehe ich auch so. Ich glaube, dass oft beim Aufbau vernachlässigt wird, wie gross die zwischenmenschliche Bürde ist, die sich ein solches, (zumindest anfänglich) durch Enthusiasmus angetriebenes Projekt auflädt. Denn Abbau ist politisch und moralisch deutlich mehr belastet als Ausbau. Deswegen bin ich der Meinung, dass nie ohne Not ausgebaut werden sollte.

  3. Ich teile dein Urteil uneingeschränkt:
    – auch ich war überrascht, wie schnell Personal aufgestockt wurde
    – Mund-zu-Mund-Propaganda wird entscheidend sein

    Ich habe auch mit den Zahlen auf der Republik-Seite herumgespielt, und für mich ist klar, dass es einen Schlüsselparameter gibt, der über das Überleben der Republik entscheiden wird – nämlich das Verhältnis zwischen Abonnenten und Mitarbeitenden. Die Sache ist (wenn man Fixkosten vernachlässigt) ziemlich einfach: Pro Mitarbeitendem fallen bestimmte Kosten an, und pro Abonnent entstehen bestimmte Einnahmen. Republik nur dann lebensfähig wenn die Einnahmen pro Mitarbeitendem (bzw. die Abonnenten pro Mitarbeitendem) grösser sind als die Kosten pro Mitarbeitendem. Das bedeutet aber auch:
    – neue Stellen sollten erst dann geschaffen werden, wenn die Zahl der Abonnenten ausreicht, um die bestehenden Stellen zu finanzieren
    – wenn die Einnahmen kleiner sind als die Ausgaben, dann müssen entweder Mitarbeitende abgebaut oder neue Abonnenten geworben werden.

    Leider habe ich nicht den Eindruck, dass das Republik-Team sich bisher systematisch bemüht hat, aus Verlegern Fans zu machen, die selbst Abonnenten gewinnen. Aber was nicht ist kann ja noch werden.

    1. Danke Holger für Deinen Beitrag.
      Lass uns dafür einsetzen, dass «das noch wird», was noch nicht ist!

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