Viele vermeintlich «überraschende» Katastrophen kündigen sich lange im Voraus an. Vom plötzlichen Schmerz in der Schulter über das Wahldebakel einer Partei bis hin zu den vielen schon realen Klimakatastrophen – allen liegt ein gleiches Muster zugrunde.

Dieses wird in diesem Artikel mit einem einfachen Beispiel beschrieben. Dabei wird auch gleich ein spezieller Vorzug der systemdynamischen Modellierung vorgestellt: wir können sogenannt Domänen-übergreifende Zusammenhänge behandeln.

So kann ein irrtümliches mentales Modell dazu führen, dass wir meinen, etwas könne einfach immer wie bisher weitergehen. Und plötzlich passiert – vermeintlich ohne jegliche Vorwarnung und ohne äussere Einwirkung – eine Katastrophe.

Wird die andere Domäne «Ressource» in die Überlegung mit einbezogen, so zeigt sich, dass sich die Katastrophe nicht nur schon lange im Voraus ankündigt, sondern dass sie sich auch relativ einfach verhindern oder abfedern lässt.

Ich setze als Dozent und Projektleiter am Institut für Modellbildung und Simulation der Fachhochschule St. Gallen vor allem systemdynamische Modelle ein, um komplexe, unübersichtliche Situationen zu meistern.

Domänen-übergreifend?

Viele alltägliche Probleme betreffen in sich geschlossene Domänen:

  • Bei der Personaleinsatzplanung reichen Kundenstromstatistiken und Verfügbarkeiten, um optimal zu planen
  • Die beste Konfiguration einer Maschine lässt sich aufgrund ihrer technischen Eigenschaften leicht finden

Bei Domänen-übergreifenden Problemen jedoch müssen sozusagen «Äpfel und Birnen» aufeinander wirken können:

  • Die Mund-zu-Mund-Propaganda für ein Produkt kann einerseits von der Fertigungsqualität des Produkts beeinflusst sein – aber auch von der Servicequalität der Mitarbeiter des Anbieters. Diese kann aber wiederum wesentlich von der Mitarbeiterzufriedenheit abhängen.
    • Das Problem reicht von der technischen Qualität eines Produkts rüber in die viel weniger quantitative Psychologie der Mitarbeitenden.
  • Auslastungs-Spitzen in einer Firma können eine Weile lang durch Überstunden der Mitarbeitenden kompensiert werden. Aber unweigerlich wird deren Gesundheit und Zufriedenheit diesem positiven Effekt entgegenwirken.
    • Das Problem reicht von der einfachen Ressourcenplanung rüber in Gesundheit und Jobzufriedenheit von Mitarbeitenden.

Zu einfaches mentales Modell

Eine Unternehmerin hat ein Modell im Kopf: «Ich muss meinem Mitarbeiter nur mehr Arbeit geben, und er wird immer mehr leisten.»

Ihre Annahme sieht so aus:

Sie denkt «nur in einer Domäne». Ihr intuitives Modell sieht etwa so aus:

…es ist nicht Domänen-übergreifend. Folgerichtig fängt sie an, ihrem Mitarbeiter einfach immer mehr Arbeit zu geben.

Überraschung!

Zuerst sieht alles richtig aus. Sie gibt mehr Arbeit, und der Mitarbeiter arbeitet mehr.

Nun geschieht aber Bedenkliches:

Was geht hier ab? Welche Domäne wurde hier vergessen?

Sie hat die Ressourcen des Mitarbeiters ausser Acht gelassen.

Ressourcen

Werden die Ressourcen mit einbezogen, so kann das Modell so aussehen:

Wird diese ganz andere Domäne mit einbezogen,

  • …wird plötzlich das Problem deutlich sichtbar und
  • … tauchen als Zusatznutzen sofort mögliche Gegenmassnahmen auf

Einerseits wird offensichtlich, dass sich die Katastrophe lange im Voraus
ankündigt
. In diesem Beispiel tut sie dies mit einem Vorlauf von circa 40 Wochen. Denn sobald die Ressourcen nicht mehr mit der Arbeit mitwachsen, wird nur noch die Substanz konsumiert und die Nachhaltigkeit ist dahin.

Andererseits wird ebenso klar, dass Gegenmassnahmen leicht ergriffen werden könnten, wenn diese Ressourcen von Anfang an einbezogen würden. Es müsste nur dafür gesorgt werden, dass die Ressourcen weiterhin wachsen.

Konkret heisst das im vorliegenden Beispiel, dass die Unternehmerin nur so viel mehr Arbeit austeilen sollte, wie die Ressourcen des Angestellten nachkommen.

Einfach und effektiv

Was hier in einem einfachen Beispiel dargestellt wird, ist ein tägliches und weit verbreitetes Muster.

Viele vermeintliche und tatsächliche Katastrophen kündigen sich lange im Voraus an:

  • Ich bin aktuell in Behandlung mit meiner lädierten Schulter. Mein Therapeut sagt mir, dass die Heilung voraussichtlich lange dauern wird, weil ein solches Problem meist auftritt, nachdem die Schulter schon sehr lange falsch beansprucht wurde.
  • Der «überraschende» Misserfolg einer politischen Partei kann damit zusammenhängen, dass sich erfolgreiche Politikerinnen und Politiker in eine Gruppendenken Blase eingelullt haben, in der sie sich vom Volk entfernt haben.
  • Natürliche Ressourcen sind die Klassiker. Sie haben keine Stimme, und können in vielen Kontexten über lange Zeit absichtlich oder unabsichtlich in einem nicht nachhaltigen Ausmass aufgebraucht werden. Gleichzeitig sind sie direkt oder indirekt oft die Grundlage von Leben, Arbeit und Glück. Und so kommt es dann unweigerlich zu den Katastrophen, an die wir uns aktuell mehr und mehr gewöhnen – und weiterhin die Augen verschliessen für all jene, die uns noch bevorstehen und die wir mit obigem Wissen abwenden könnten.

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